Eine sehr kurze Geschichte der Zeit
Im Haus gegenüber lebt in der Wohnung im ersten Stockwerk eine Hauskatze. Definitionsgemäß ist das ein Tier, das nie nach draußen kommt. Manchmal sehe ich die Katze, wie sie am offenen Fenster sitzt, hinter einem Mückennetz, während ich im Haus gegenüber auf dem Balkon sitze und mich frage, welche Vorstellungen sie wohl von der Welt da draußen hat.
Die Katze beobachtet die Menschen, die vorbeigehen und die Vögel, die vorbeifliegen und sieht der Welt ganz allgemein dabei zu, wie sie Welt ist, mit einer geduldigen Aufmerksamkeit, wie sie nur Geschöpfe haben, denen die Begrenzung ihres Daseins zur Gewohnheit geworden ist. Ich frage mich, was diese Katze wohl denkt, wenn sie mich sieht, wie ich auf der anderen Seite aus dem Fenster schaue oder rauchend auf dem Balkon stehe und mir Gedanken darüber mache, was sie, die Hauskatze, denkt, wenn sie mich beobachtet, wie ich sie beobachte?
„Armer Hausmensch. Kommt nie nach draußen, ist immer nur drinnen, per definitionem. Was der wohl über die Welt da draußen denkt? Was er wohl denkt, wenn er mich sieht, wie ich hinter dem Mückennetz sitze und nach draußen schaue?“
Dies hat mich schon immer fasziniert: Wenn sich zwei fremde Entitäten zum ersten Mal betrachten, sie sich gegenüberstehen und Notiz voneinander nehmen und sich an diesem einen bestimmten Punkt in der Zeit und an diesem einen bestimmten Ort im Universum gegenseitig beim vor sich hinexistieren beobachten, in einem schnellen schweißlichtbogengrellen Augenblick die Verbindung herstellen, dann empfinde ich diesen Moment manchmal als unfassbar beeindruckend und erschreckend unbedeutend zugleich und letzten Endes kann ich mich für keines dieser beiden Gefühle entscheiden.